Es ist nun zwar schon rund drei Wochen her, dass die erste Präsidentschaftsdebatte zwischen Donald Trump und seinem Konkurrenten Joe Biden im Rahmen der US-Präsidentschaftswahlen, welche am 03. November stattfinden, ausgestrahlt wurde. Dennoch dürfte sie den meisten von uns noch gut in Erinnerung geblieben sein: Chaotisch, laufende Unterbrechungen und bisweilen unsachliche und persönliche Angriffe. Um den Inhalt der Debatte soll es an dieser Stelle jedoch nicht gehen, wir möchten vielmehr zeigen, dass diese Debatte ein Musterbeispiel für den Albtraum eines/einer jeden Dolmetscher war.

Viraler Tweet der Übertragung im japanischen Fernsehen sorgt für Aufsehen

In diesem Rahmen ist ein Tweet viral gegangen, der einen Ausschnitt aus der Übertragung beim japanischen Fernsehsender NHK (öffentlich-rechtlicher Rundfunksender in Japan) zeigt:

People in Japan who watched it on NHK (our public broadcaster) had to watch three men shout over each other while three interpreters interpreted over each other simultaneously soooo yes but not really?? pic.twitter.com/1gItayw55f https://t.co/vWV8Top38J

— 伊吹早織 Saori Ibuki (@ciaolivia) September 30, 2020

Man muss weder Japanisch noch Englisch sprechen, um zu verstehen, wo das Problem liegt. Bei den japanischen Zuschauer löste diese Übertragung vor allem eines aus: Vollkommene Verwirrung. „Warum hören die Simultandolmetscherinnen ständig mitten im Satz auf?“ oder „Seid ihr sicher, dass die Dolmetscherinnen die richtigen Wörter benutzen? Die Antwort hat überhaupt keinen Bezug zur Frage.“ waren Tweets, welche man unter dem entsprechenden japanischen Hashtag finden konnte. Viele kritisierten auch die Unprofessionalität der Kandidaten selbst und bezogen sich dabei vor allem auf das ständige gegenseitige Unterbrechen. Doch insbesondere die Fähigkeiten der Dolmetscherinnen wurden in Frage gestellt. Es gibt jedoch gute Gründe, warum die Übersetzung dieser Debatte für diese eine große Herausforderung darstellte.

TV-Debatte von Trump und Biden: Probleme für alle Dolmetscher

Simultandolmetschen ist immer ein sehr anspruchsvoller Job, für den es eine Menge Erfahrung, hervorragende Sprachkenntnisse, besonderes Konzentrationsvermögen und die Fähigkeit, gleichzeitig der einen Sprache zuzuhören und in einer anderen sprechen zu können, braucht. Ein gewisses Maß an Flexibilität muss dabei erwartet werden können, auch der Ton und Implikationen müssen live gekonnt übertragen werden. Das ist bei weitem keine einfache Aufgabe, weswegen Simultandolmetscher meist nicht länger als 30 Minuten am Stück arbeiten. Eine Vorbereitung auf den Auftrag ist trotzdem immer nötig; oft lassen die Teilnehmer der Debatte den Dolmetscher im Voraus einen groben Plan Ihres Vortrags sowie eine Liste mit speziellen und oft von ihnen verwendeten Ausdrücken zukommen, damit diese für Ihren Einsatz besser gewappnet sind. Dennoch, wenn sich, wie in diesem Fall, die Teilnehmer ständig ins Wort fallen, Sätze nicht beendet werden, laufend Themenwechsel stattfinden, nicht aufeinander eingegangen wird und zwischendrin auch noch ein überforderter Moderator versucht, die Diskussion zu leiten, aber größtenteils ignoriert wird, sind auch die besten Dolmetscher schlichtweg überfordert. Sieht man sich Ausschnitte aus Übertragungen in anderen Ländern an, ergibt sich ein ähnliches Bild. Warum das japanische Beispiel aber aus sprachlicher Sicht besonders interessant ist, zeigt sich im Folgenden.

Die Unterschiede zwischen den beiden Sprachen schaffen Probleme

Betrachten wir nun den vorliegenden Fall und gehen von einer Übersetzung aus dem Englischen ins Japanische aus, stehen wir im Großen und Ganzen vor zwei Problemen.

Zum einen sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass das Japanische und das Englische zwei Sprachen sind, welche eine völlig unterschiedliche Struktur vorweisen. So ist bereits der Satzbau schon ganz anders: Während Englisch dem Schema Subjekt-Verb-Objekt folgt, besteht ein japanischer Satz in der Regel aus Subjekt-Objekt-Verb. Was bedeutet das für die Dolmetscher? Um einen Satz korrekt zu übersetzen, müssen sie eigentlich warten, bis dieser beendet ist, denn während im Japanischen nun das Objekt fällig wäre, kennen die Dolmetscher zwar bereits das Verb, aber eben noch nicht dieses Objekt. Vor allem bei hitzigen Debatten wie hier vergeht jedoch zu viel Zeit, um auf das Satzende zu warten, wenn man dem Geschehen noch folgen möchte. Im konkreten Fall kommt das ständige Unterbrochen-Werden dazu, sodass kaum ein Satz überhaupt beendet werden kann. Für geübte Dolmetscher stellt dies zwar selten ein Problem dar, insofern eine geregelte Diskussion erfolgt. Am obigen Beispiel zeigt sich aber deutlich, was passiert, wenn die Teilnehmer diesen Diskussionsregeln nicht folgen.

Das Dilemma der japanischen Dolmetscher

Das zweite und vermutliche größere Problem ist die unterschiedliche Debattenkultur der beiden Länder. Vermutlich sind wir uns alle darüber einig, dass man bei einer Unterhaltung die andere Person zunächst ausreden lässt. Dass es dennoch bei Diskussionen, bei denen es zu großen Meinungsverschiedenheiten kommt, auch im professionellen Umfeld passiert, dass die eine Seite die andere unterbricht, ist nirgends eine Seltenheit, auch nicht in Japan. Wie direkt dies geschieht und welche Ausdrücke verwendet werden, unterscheidet sich jedoch bisweilen drastisch. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um ein Extrembeispiel, das (hoffentlich) keine typische Diskussion zwischen zwei us-amerikanischen Politikern zeigt, aber gerade deshalb lassen sich die Unterschiede so deutlich aufzeigen:

Von Dolmetscher wird erwartet, eine Unterhaltung möglichst exakt so zu übertragen, dass es dem Gesagten im Original auch entspricht. Was aber, wenn dies den gesellschaftlichen Konventionen, die in einem Land gelten, völlig widerspricht? Die Art, wie sich die beiden Präsidentschaftskandidaten teilweise verhalten und ausgedrückt haben, wirkt in jedem Kontext bisweilen unprofessionell, aber vor allem in Japan wäre eine solche Diskussion undenkbar. Hier passiert es zum einen tatsächlich wesentlich seltener, dass eine Person die andere unterbricht, aber auch die Art, wie Ablehnung ausgedrückt wird, ist wesentlich subtiler und greift das Gegenüber schon gar nicht erst persönlich an – zumindest nicht, wenn man sich erhofft, seine Karriere im Anschluss fortzusetzen.

Hier stehen die Dolmetscher nun vor einem besonderen Dilemma: Übertragen sie das Gesagte mit ihren eigenen Worten, wird ihr Können in Frage gestellt. Übertragen sie solche Unterhaltungen jedoch wörtlich – und das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – riskieren sie nicht nur ihren Ruf, sondern vermutlich auch ihren Job, denn leider wird eine vulgäre Ausdrucksweise auch immer auf den oder die Dolmetscher selbst projiziert, obwohl er oder sie natürlich nichts dafürkann. Das führt auch zu Artikeln wie diesem, der Titel lautet wörtlich „Trumps Aussagen bringen Übersetzer zum Weinen – Auch Profis sind ratlos“. In dem Artikel wird darauf eingegangen, wie schwer Trumps Reden zu übersetzen sind: Er wiederholt sich oft, benutzt sehr simple Ausdrücke wie „great“ oder „big“ laufend, wechselt mitten im Satz das Thema oder beendet Gedankengänge überhaupt nicht. Dies hat zur Folge, dass auch Übersetzer und Dolmetscher mitten im Satz abbrechen müssen. Viele Zuhörer gehen dann jedoch davon aus, dass diese Dolmetscher jedoch einfach aufgrund mangelnder Kenntnisse abbrechen und stellen somit deren Kompetenzen infrage. Dass ein Präsident der Vereinigten Staaten sich nicht gekonnt ausdrücken kann, ist für viele japanische Bürger vollkommen unverständlich. Spätestens die Übertragung dieses TV-Duells sollte an dieser Ansicht jedoch einiges geändert haben. Und im besten Fall hat die Debatte auch für ein bisschen mehr Bewusstsein in Bezug auf die Herausforderungen, mit denen Dolmetscher konfrontiert sind, gesorgt.

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